Föderalismuskritik als Hochverrat?

Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeitet die österreichische Politik mittlerweile an der Umsetzung einer Staats- und Verwaltungsreform und mehrmals wurde in den letzten Jahren die größte Verwaltungsreform aller Zeiten ausgerufen. Bis auf wenige singuläre Maßnahmen, beispielsweise die Abschaffung der Stempelmarke im Jahr 2001, ist aber der wesentliche Schritt in die richtige Richtung bisher nicht gelungen. Zahlreiche Expertengruppen haben produktive Anregungen zur Reformierung unseres Staatswesens abgeliefert, mit wenigen Ausnahmen sind allerdings all diese Initiativen an ein und derselben Problematik gescheitert. Eine Staatsreform, die diese Bezeichnung tatsächlich verdient, ist nur im Zusammenhang mit einer Verfassungsrefom denkbar. Exakt an dieser Problematik erstickt allerdings jede Reformdiskussion. Die eklatantesten Ineffizienzen beruhen auf der Tatsache, dass die Länder ihre Politik seit Jahren auf das ausschließliche Ziel uneingeschränkten Machterhalts ausgelegt haben.

Das Prinzip des österreichischen Föderalismus, festgeschrieben in der Bundesverfassung, kostet den Steuerzahler Millionen und verhindert jede sinnvolle Reform des österreichischen Staatsapparats. Die Landespolitik versucht uns gebetsmühlenartig zu vermitteln in Wien gemachte Politik sei zu weit entfernt von den Menschen, die Lebensumstände der Menschen zwischen Neusiedler- und Bodensee seien grundverschieden und nur durch regelmäßige rhetorische Rundumschläge der Landeshauptleute würden die Interessen der Bürger in der Politik angemessen vertreten.

Die Realität allerdings zeigt ein deutlich differenzierteres Bild. Die Lebenswirklichkeit der Österreicher ist quer durch die Bundesländer äußerst homogen, die tatsächlichen Aufgaben der Gesetzgebung der Länder beschränken sich auf ein Minimum und die politische Aktivität der Landespolitik fokussiert sich in bedenklichem Ausmaß auf Wahlkampfzeiten. Nicht zuletzt politische Auswüchse wie im südlichsten Bundesland Österreichs, wo die Landespolitik seit langem zu einem politischen Kasperltheater sondergleichen verkommen ist, zeigen uns den Veränderungsbedarf politischer Zuständigkeiten. Eine gänzliche Abschaffung der gesetzgebenden Funktion der Länder und damit verbunden der Landtagswahlen würde für den Bürger keinerlei Verschlechterungen mit sich bringen, jedoch neben enormen Kosteneinsparungen auch den Weg für überfällige Reformen frei machen. Die Landtagswahlen in Wien und der Steiermark im Herbst zeigen eindrucksvoll, wie sehr die Politik des gesamten Landes durch Landtagswahlen blockiert wird.

Der österreichische Föderalismus ist keineswegs vergleichbar mit den Systemen anderer Länder. In Deutschland beispielsweise reichen 16 Bundesländer für mehr als 80 Millionen Einwohner völlig aus, es gibt sogar eine Diskussion um eine Verringerung dieser Anzahl. Die Schweiz, oft als Beispiel herangezogen, ist keineswegs vergleichbar. Dort müssen die Kantone ihre Ausgaben durch selbst eingenommene Steuern finanzieren und somit jedes Geschenk an die Bürger eigenständig finanzieren. Der Wettbewerb zwischen den Kantonen um die Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben ist dem österreichischen System völlig entgegengesetzt. In Österreich vergeben die Länder Gelder, für deren Aufbringung sich ausschließlich die Bundespolitik rechtfertigen muss.

Mit der Abwendung vom Zwergerlföderalismus österreichischer Prägung könnten eine ganze Reihe von unnötigen Doppelgleisigkeiten umgehend beseitigt werden. Die Zusammenlegung der 19 eigenständigen Krankenversicherungsträger, die allesamt dieselbe Leistung erbringen sollen, ist nur ein Beispiel hierfür. Die Finanzierung des Gesundheitswesens, inklusive den öffentlichen Spitälern, aus einem Topf, würde deutlich bessere Leistungen für den Bürger ermöglichen und ebenfalls horrende Kosten einsparen. Die Zweigleisigkeit im Schulsystem, die Schülern und Eltern keinerlei Vorteil bringt könnte ebenso umgehend abgestellt werden wie die zahlreichen völlig indiskutablen Privilegien der Landesbeamten mancher Länder. Auch die unterschiedlichen Regelungen der Sozialhilfe diskriminieren Menschen einzelner Bundesländer stark und lassen sich durch unterschiedliche Lebenserhaltungskosten keineswegs erklären. Auch die Einführung der Mindestsicherung wird diese Ungleichbehandlung nicht verändern können, sie bietet nur ein gesichertes Mindestniveau.

Bei all diesen Reformvorschlägen geht es keineswegs um ausschließliche Sparmaßnahmen, sie alle würden eine maßgebliche Verbesserung des Nutzens für die Bevölkerung und der Fairness mit sich bringen. Auch der Wegfall der jährlichen Budgetverhandlungen zwischen Ländern und Gemeinden würde die politische Arbeit maßgeblich erleichtern. Die Argumente seitens der Landespolitik gegen den „Wiener Zentralismus“ sind ebenso fadenscheinig wie inhaltslos. Alle genannten Fehlentwicklungen sind ausschließlich auf das Machtstreben der Landespolitiker zurückzuführen und gehen letztlich zu Lasten der gesamten Bevölkerung. Die verlängerte Sommerpause der Bundespolitik und die fragwürdige Verschiebung der Budgetrede in die Adventszeit sind erschreckende Beispiele der Auswirkungen einer Landtagswahl auf die gesamte Politik und untermauern die angeführten Argumente eindrucksvoll. Es muss, völlig unabhängig von Wirtschafts- und Finanzkrise, in einer Demokratie erlaubt sein, den Sinn der Aufrechterhaltung dieses Systems ernsthaft zu hinterfragen.
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denkanstoesse - 6. Jul, 13:56

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