Nachruf eines Diktators aus dem Vorhof der Macht

Mit Hans Dichand ist kürzlich der unangefochtene Wortführer der österreichischen Medienwelt gestorben und seinen hinterbliebenen Verwandten, Freunden und Mitarbeitern ist gewiss zu kondolieren. Aus den Reihen der Politprominenz kommt von allen Seiten erwartet uneingeschränkte Anerkennung für seine Leistungen, die Schattenseiten des mächtigen Medienmachers bleiben allerdings nahezu unerwähnt. Vor einer voreiligen Seligsprechung sollte allerdings Objektivismus hinsichtlich seiner „Leistungen“ einkehren.

Hans Dichand hat mit der 1959 gegründeten „Neuen Kronen Zeitung“ die mächtigste Zeitung der Welt, gemessen an der Bevölkerungszahl, aufgebaut. Mit knapp 3 Millionen Lesern täglich und einem Marktanteil von nahezu 50% dominierte er als Gründer, Alleingeschäftsführer und Chefredakteur über Jahrzehnte die österreichische Medienwelt, vergleichbar mit Axel Springer in Deutschland. Diese Leistung ist uneingeschränkt zu würdigen, jedoch neigt die österreichische Gesellschaft dazu, Persönlichkeiten posthum zu positiv zu beurteilen und negative Aspekte ihres Tuns zu verharmlosen. Bestes Beispiel hierfür ist Jörg Haider, welcher übrigens ohne populistische Unterstützung durch Dichand politisch ohne Zweifel nie in die erste Reihe getreten wäre.

Die Macht seines Blattes wusste Dichand seit jeher für Kampagnen und Meinungsmache zu missbrauchen. Der für ein Massenmedium notwendige Objektivismus war in der Kronenzeitung nie auch nur annähernd erkennbar, unrichtige Darstellungen wurden bewusst unter die Leserschaft gestreut und selbst vor tendenziöser Manipulation der Leserbriefseite schreckte man nicht zurück. Dichand ist fraglos mitverantwortlich dafür, dass auch im 21. Jahrhundert in Österreich Ausländerfeindlichkeit als salonfähig betrachtet wird, dass die EU für Landespolitiker und Bevölkerung stets als Sündenbock herhalten musste und dafür, dass der Nationalismus in einem der friedlichsten Länder der Welt noch immer ungebrochen zu sein scheint.

Erfolgreiche österreichische Politiker wurden reihenweise von ihm demontiert, im Gegenzug formbare politische Marionetten an die Macht geschrieben. Prominentestes Beispiel hierfür ist der aktuelle Bundeskanzler Werner Faymann, der ohne „Onkel Hans“ wohl sowohl parteiintern als auch in der Bevölkerung zu keiner Zeit wählbar gewesen wäre. Die Parteilinie der Sozialdemokraten war nie derart formbar, der Schwenk in der EU-Politik der SPÖ im Jahr 2008 stellt nur ein Beispiel hierfür dar. Der fragwürdige Assistenzeinsatz des österreichischen Bundesheers im burgenländischen Grenzgebiet wäre wohl ohne die permanente Panikmache des Boulevard-Blattes nach der Grenzöffnung diskussionslos beendet worden.

Sollte die WAZ-Gruppe, zur Hälfte Eigentümer der Kronenzeitung, die Leitung des Blattes übernehmen bestünde durchaus Hoffnung, dass uns in Zukunft Angstmache, kalkulierte Falschmeldungen und politische Einflussnahme erspart bleiben. Jedenfalls bietet der Wegfall von Cato mehr Freiheit für die Politik, die über Jahrzehnte von der Unterstützung Dichands abhängig war. Für die Hinterbliebenen und Mitarbeiter von Hans Dichand stellt sein Tod einen schmerzhaften Verlust dar, für die österreichische Demokratie kann die Neuorientierung der Medienwelt jedoch eine einmalige Chance bieten.
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denkanstoesse - 18. Jun, 21:44

Differenzierte Berichte in anderen Medien

Erfreulicherweise finden sich in mehreren österreichischen Medien durchaus kritische Berichte zur Person von Hans Dichand. Hervorzuheben insbesondere folgende Artikel aus Standard und Presse:

http://diepresse.com/home/kultur/medien/574715/index.do?_vl_backlink=/home/kultur/medien/574505/index.do&direct=574505

http://derstandard.at/1276413394846/Dichand-und-die-Macht-Das-Volk-die-Zeitung-und-der-Alte

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